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"Der lebendige Walser-Geist bereichert unsere Kultur"

Triesenberg ist ein traditionsbewusstes Bergdorf in Liechtenstein. Entstanden aus einer Walsersiedlung im 13./14. Jahrhundert, hat die Gemeinde über all die Jahre ihre Geschichte in Ehren gehalten. Patrik Birrer, Leiter der Denkmalpflege Liechtenstein, hat sich intensiv mit der Architektur der alten Häuser befasst und erklärt, wie der Walser-Geist nach rund 700 Jahren noch heute in der Wohnbausiedlung spürbar ist.

Herr Birrer, oft spricht man davon, dass die Holzbauweise typisch walserisch ist. Gibt es tatsächlich eine charakteristische Walserhaus-Architektur, die sich durch alle Walsersiedlungen hindurch zieht?
Patrik Birrer: Die Holzbauweise ist in unserem Alpengebiet aufgrund der waldreichen Gegenden und des vorhandenen Baumaterials seit alters her grundsätzlich die bevorzugte Bauweise. So ist die Holzbauarchitektur nicht per se typisch walserisch. Im Wissen darum, dass viele Walsersiedlungen erst aufgrund der Rodungstätigkeit entstanden sind, macht die Verwendung des ausreichend zur Verfügung stehenden Baumaterials Holz natürlich Sinn. Hierzulande zeigt sich die Wahl der Baumaterialien und der Bautechniken daher in den drei hauptsächlichen Anwendungen Mauerwerk, Ständerbau und Strickbau. In der Anwendung der unterschiedlichen Holzbautechniken kann eine zeitliche Entwicklung abgelesen werden. Der Bohlenständerbau kommt vor dem Strickbau, welcher erst um 1500 nach und nach einsetzt. Vorherrschend war das zweigeschossige, unterkellerte Holzhaus oder Holz-Stein-Haus – z.B. mit gemauerter Küche.

Wie muss man sich ein Walserhaus im Innenraum vorstellen?
Wichtig für die Wohnhaustypologie und die Entwicklung der Raumordnung war stets die Feuer- bzw. Herdstelle als zentraler Ort in einem Haus. Die Entwicklung von der offenen Feuerstelle bis hin zum geschlossenen, rauchfreien Eisenherd samt Stubenofen bestimmte die räumliche Entwicklung im Wohnhaus massgeblich. Bezüglich Raumstrukturen findet sich im hiesigen Siedlungsgebiet vom ausgehenden Mittelalter bis nach Ende des Ersten Weltkrieges daher derselbe Wohnraumtyp des sogenannten "Drei-Raum-Hauses". Die funktionale Dreiteilung des Erdgeschosses in Stube und Nebenstube mit dazu quergestellter Küche und mit Kammern im Obergeschoss setzte sich bereits ab dem Spätmittelalter durch. Von einer eigentlichen "Walser-Architektur" sprechen wir heute somit nicht mehr. Charakteristisch sind die alten, sonnenverfärbten Holzhäuser in Triesenberg mit ihren markanten Giebelfassaden gegen die Talseite aber allemal.

Was für Charakteristiken weisen die alten Walserhäuser in Triesenberg auf?
Die architektonische Gestaltung und Erscheinung unserer Wohnbauten ist letztlich das Zusammenspiel von Materialwahl und -verarbeitung, Raumstrukturen, Dach- und Fassadenformen, Modeströmungen und ästhetischen Ansprüchen sowie Zahlungskraft der Bauherrschaft. Hier weisen die Wohnhäuser in Liechtenstein nicht fundamentale Unterschiede auf. Zumindest in der funktionalen Verbindung von Wohn- und Ökonomiebauten wird aber gerne zwischen dem "Rheintaler Haus" und dem "Walser Haus" unterschieden, auch wenn wir die Begriffe in der heutigen Bauforschung eigentlich nicht mehr verwenden. Wärenddem das Erstere mit Wohnhaus und direkt angebauter grosser Stallscheune charakterisiert wird, findet sich das Letztere als freistehendes Wohnhaus mit gestreuten Heuställen. Diese Befunde zeigen ihre Ursache nicht in etymologischer Zugehörigkeit der Erbauer, sondern viel mehr in der seit dem 18. Jahrhundert einsetzenden unterschiedlichen Vieh- und Ackerbauwirtschaft zusehends mittels Fuhrwerken und Fahrtransporten bewerkstelligt. In den Steillagen Triesenbergs führte die Bewirtschaftung ohne Fuhrwerke zu einer Streuung vielzähliger Stallbauten und Magerheuhütten.

Wo ist die alte Streusiedlung der Walser heute noch in der Gemeinde erkennbar?
Prähistorische Streufunde und romanische Flurnamen wie Guflina, Lavadina usw. weisen vielfach auf eine vorwalserische Nutzung des Gebietes hin. Die Walser besiedelten zuerst die höheren Lagen und breiteten sich erst später talwärts aus. Es bildeten sich dabei Siedlungen mit unterschiedlichen Weilern. Masescha war einer der ersten Siedlungsorte der Walser, liegt in etwa 1‘250 Metern Höhe und gehört heute noch zu den schönsten Lagen im Land. Trotz reger Bautätigkeit der letzten Jahrzehnte sind aber auch die anderen Weiler im Dorf noch gut erkenn- und spürbar. Ein ganz spezieller und beschaulicher Ort stellt sicherlich die als Rodungsinsel entstandene Höhensiedlung auf "Hinder Prufatscheng" dar. Geprägt wird der Weiler durch zwei Wohnbauten aus der Mitte des 16. und 19. Jahrhunderts und mehrere Heuställe. Im 18. Jahrhundert lebten hier vier Familien, hundert Jahre später noch zwei. Bis Ende der 1950er Jahre war die Kleinstsiedlung ganzjährig besiedelt, dies erklärt auch die Heimarbeit mit dem Vorhandensein der grossen Stickereimaschine im jüngeren Haus. Seit 1979 ist das alte und denkmalgeschützte "Prufatschengerhaus" im Besitz der Gemeinde Triesenberg, welche das Objekt in der Folge 1983/84 vorbildlich renoviert und teilweise rekonstruiert hat.

Welches sind die wichtigsten architektonischen Zeitzeugen der alten Walserkultur in Triesenberg?
Von besonderer historischer Bedeutung ist sicher die Kapelle St. Theodul auf Masescha, die erste Kirchengründung der eingewanderten Walser am Berg. Der erste Bau wurde wohl um 1300 errichtet und 1465 wird die Kapelle erstmals schriftlich erwähnt. Im nächsten Jahr soll die Kapelle übrigens wieder umfassend restauriert werden. Die zahlreichen Magerheuhütten auf Gemeindeboden gelten als einfache aber durchaus wichtige Bauzeugen einstiger Alpbewirtschaftung. Auch das im Jahre 1601 erbaute "Hagstickerhaus", heute denkmalgeschütztes Walsermuseum im Dorfzentrum neben der Pfarrkirche St. Josef, zeigt sich als 

beredtes Zeugnis bäuerlicher Wohnkultur am Berg. Letztlich sei aber auch das "Medleni-Huus" erwähnt. Das nach seiner letzten Bewohnerin Magdalena Schädler (1903 - 1985) liebevoll benannte Gebäude liegt im Jonaboden, mitten im Gemeindezentrum nahe der Kirche, dem Rathaus und dem Dorfplatz. Das Haus wurde, laut Inschrift am Wohnhausgiebel, 1803 durch Franz Josef Schlegel (1772 - 1844) und seine Gattin Anna Maria Seelin (=Sele) als Mehrzweck-Bauernhaus erbaut. Gebaut mit handgehauenem Nadelholz in traditioneller Stickbauweise, blieb die Raumstruktur des Gebäudes seit 1803 bis heute unverändert. Damit hat sich hier nicht nur eine originale Struktur erhalten, sondern auch ein Beispiel für die Baukunst des 19. Jahrhunderts. Mit dem Sticklokal des Heimstickers Franz Schädler hat sich zudem ein seltenes Beispiel der damals wirtschaftlich wichtigen Heim- und Stickarbeit erhalten. Aus historischer Sicht liefert das Gebäude wichtige Informationen über die Siedlungsgeschichte und deren Entwicklung in Triesenberg. Der Gemeinde Triesenberg und dem Verein Ahnenforschung bietet sich nun mit dem Projekt "Ferien im Baudenkmal", bei welchem das Haus sanft instand gestellt und künftig für Feriengäste zur Verfügung gestellt wird, eine ganz aussergewöhnliche Möglichkeit, Kultur und Tourismus nachhaltig zu vereinen.

Durch die rege Bautätigkeit seit den 1950er Jahren hat sich das Dorfbild sehr geändert und die Weiler wachsen mehr und mehr zusammen. Wie würden Sie im Sinne der Denkmalpflege grundsätzlich die Ortsbildqualität in Triesenberg bewerten?
Alle Gemeinden in Liechtenstein haben sich in den letzten Jahrzehnten massgeblich verändert, vielerorts sind die alten Dorfstrukturen und viele historische Gebäude verschwunden. Triesenberg hat aufgrund seiner typischen Siedlungsstruktur zumindest den Dorfcharakter erhalten können. Wenn es gelingt, auch künftig eine gesunde Mischung von alter und neu wachsender Bausubstanz nebeneinander qualitätvoll bestehen zu lassen – ich denke da gerade eben an das "Madleni-Huus" im Zusammenspiel mit dem schützenswerten Nachbarhaus Nr. 6 (Schlossstrasse 12) – leisten wir einen wesentlichen Beitrag für eine intaktes Ortsbild. Speziell für die ortsbauliche Situation im Zentrum bilden die beiden erwähnten Gebäude ein wesentliches Ensemble, welches es zu erhalten gilt. Solche Denkmäler können auch nicht einfach nach Belieben verschoben werden. Es gibt auch in Triesenberg noch zahlreiche Baudenkmäler, die für die Identität der Gemeinde sowie für Liechtenstein von grosser Bedeutung sind und daher gepflegt und geschützt werden müssen. Ich denke da unter anderem auch an die einmalige Bebauungsstruktur von Gross- und Kleinsteg.

In welchen Bereichen spüren Sie persönlich, dass der einstige Walser-Geist noch heute in der Gemeinde lebt?
Die "Freien Walser" wurden von den Landesherren für ihre Rodungstätigkeit mit besonderen Freiheitsrechten ausgestattet. So besassen sie mit der "Freien Erbleihe" ein besonders günstiges Besitz- und Nutzungsrecht. Sie waren von Steuern befreit und hatten lediglich einen Zins zu entrichten. Im Jahre 1618, unter den Grafen von Hohenems, wurden die besonderen Rechte der Walser aufgehoben, d. h. sie wurden wie die anderen Landesbürger leibeigen. Dieses freie Gedankengut, verbunden mit einer grossen Portion Stolz, Selbstbewusstsein und sprachlicher Eigenständigkeit spürt man heute noch. Dies macht die Zusammenarbeit mit den Bärgern mitunter spannend und auch herausfordernd. Im Mainstream der heutigen Zeit ist der durchaus noch lebendige "Walser-Geist" daher eine wahrliche Bereicherung unserer Kultur im Rheintal!

Interview: Niki Eder / Dieser Artikel ist im Liechtenstein-Magazin "oho" 2016/17 erschienen